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Zurück zu Aktuelles >Mercosur: Autos gegen Fleisch


Nach 20 Jahren Verhandlungen haben die EU und der südamerikanische Mercosur-Block (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) eine politische Einigung über ein Handelsabkommen erzielt. Die Zeche für den freien Handel mit Waren und Dienstleistungen zahlt die europäische Landwirtschaft: Sie wird den Interessen unserer Automobil- und Maschinenindustrie geopfert! Denn die EU akzeptiert im Gegenzug große Mengen Geflügelfleisch und Zucker aus den Mercosur-Ländern, obwohl Welten unsere europäischen Normen und Standards vom südamerikanischen Agrarmodell trennen. Allen beschwichtigenden „Fairness“-Klauseln zum Trotz wird das Mercosur-Handelsabkommen unsere landwirtschaftlichen Betriebe und das europäische Agrarmodell unter Druck setzen.

Autos gegen Hühner

Das Zugeständnis der Mercosur-Länder: Sie fahren ihre bisherigen hohen Einfuhrzölle auf europäische Autos und Maschinen auf null zurück. Dafür gesteht die EU ihnen im Gegenzug in erheblichen Umfang zusätzliche zollfreie Importkontingente an Rind- und Hähnchenfleisch sowie Zucker zu. Wohlgemerkt zusätzlich zu den großen Mengen, die sie bereits heute auf den europäischen Markt bringen können.

Bei Rindfleisch geht es um 99.000 t. Und das zu einem Zeitpunkt, da die europäische Nachfrage und die Preise stark unter Druck stehen. Als ob die Zugeständnisse in Sachen Rindfleisch in bereits bestehenden Handelsabkommen (z.B. mit Kanada und mit Mexiko) nicht schon gereicht hätten, um die europäischen Rindfleischerzeuger an die Wand zu fahren. Und wenn man weiß, dass auch noch Australien und Neuseeland nur darauf warten, die EU über den Tisch ziehen zu können, dann muss man befürchten, dass unsere Fleischviehhaltung komplett vor die Hunde geht. Und als ob das alles noch nicht reichen würde, ist die Gefahr eines harten Brexit noch nicht gebannt, im Gegenteil. Das würde zusätzlich eine beträchtliche Menge irischen Rindfleischs auf den europäischen Markt spülen. Kurzum: Der Druck droht ein Ausmaß anzunehmen, das für den ohnehin schon geschwächten Sektor unerträglich ist.

Auch der Geflügelsektor ist in der letzten Phase der Verhandlungen noch einmal ganz stark zum Aderlass gebeten worden: Er muss ein zusätzliches Einfuhrkontingent von 180.000 t schlucken. Dabei hat er erst jüngst die Zugeständnisse an die Ukraine verkraften müssen. Und wie bei Rindfleisch stehen auch im Geflügelfleischsektor bereits andere Länder mit hohen Erwartungen und Forderungen vor der Tür.

Einziger Lichtblick: Der Milchsektor (genauer gesagt Käse, insbesondere Käsespezialitäten) könnte von einem besseren Zugang zu den Mercosur-Märkten profitieren.

Gegensätzliche Agrarmodelle

Die Agrarstrukturen in der EU und in den Mercosur-Ländern unterscheiden sich sehr stark voneinander. Die südamerikanischen Kleinerzeuger werden nicht den geringsten Profit aus dem Abkommen ziehen können, sondern es werden die dortigen industriellen Großbetriebe sein, die die Kontingente mit ihren Erzeugnissen füllen werden. Unsere europäischen Familienbetriebe können da preislich nicht mithalten. Hinzu kommt, dass die Messlatte in Sachen Umwelt- und Klimaschutz, Antibiotikaeinsatz, Tier- und Pflanzenschutz, Lebensmittelsicherheit und Rückverfolgbarkeit, ... in den Mercosurländern deutlich niedrig liegt als in Europa. Das ist eine dramatische Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten der europäischen Landwirte! Da hilft es auch nicht, dass die EU-Verhandlungsführer hoch und heilig geloben, dass nur Produkte Einlass in die EU finden werden, die den EU-Standards entsprechen. Es ist aber fraglich, ob die Mercosur-Länder über ausreichend Kapazitäten (und Willen) verfügen, um dies zu garantieren – und die EU, um dies zu kontrollieren und durchzusetzen! Auch sei die Frage erlaubt, wie gewissenhaft die Kontrollen in Südamerika durchgeführt werden und wie zuverlässig die dort ausgestellten Zertifikate sind. Unsere Befürchtung ist jedenfalls, dass das Netz große Lücken und Schlupflöcher aufweist.

Doppelmoral

Während in Europa eine hitzige Debatte über nachhaltige Landwirtschaft geführt wird und darüber, wie man noch stärker all den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden kann, öffnet die EU-Handelspolitik die Tür für Produkte und Produktionsmodelle, die sehr weit von den europäischen Erwartungen an Landwirtschaft und Ernährung entfernt sind. Verstehe diese Doppelmoral, wer kann …

In den kommenden Monaten wird die politische Einigung technisch abgeschlossen und schließlich im EU-Parlament und im Ministerrat zur Abstimmung gestellt. Zur gleichen Zeit müssen auch Entscheidungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) getroffen werden. Wir werden die europäischen Parlamentarier und die betroffenen Minister sowie unseren europäischen Dachverband COPA auffordern, alles zu tun, um der europäischen Landwirtschaft eine echte Überlebenschance zu bieten. Denn es kann doch nicht sein, dass unser Agrarsektor von allen Seiten attackiert wird, bis er zusammenbricht: starker Druck am Markt wegen Handelsabkommen à la Mercosur, immer mehr und höhere gesellschaftliche Erwartungen und dafür auch noch weniger Geld im Agrarhaushalt.